Im Herbst 2014 besuchten wir während der Deutsch Japanischen Summer School Sanriku Fukkou mit 11 Studenten (einige davon im Masterstudiengang Küstenschutz der TU Braunschweig) die Koizumi Bucht in Kesennuma, um mit der Bevölkerung über den Sinn eines 14,7 m hohen Deiches zu sprechen. Vor Ort mussten wir feststellen, dass die Stimmung in der kleinen Gemeinde, die inzwischen von 1800 auf 1100 Einwohner zurückgegangen ist sehr aufgewühlt ist.
Die Politiker bzw. Parlamentarier der Gemeinde stehen voll hinter dem Regierungsbeschluss, den Betondeich zu bauen. Wie im Artikel beschrieben, propagieren sie, dass so die Gelder zur Wiederbelebung der Wirtschaft in die Region fließen und ein Wiederaufbau erst nach Errichtung des Betondeiches möglich sei. Außerdem erhalten die ehemaligen Besitzer des Bodens, auf dem der Deich gebaut werden soll, hohe Entschädigungssummen, die sie ansonsten nicht bekommen würden. Aber einige Einwohner sind sehr engagiert, Alternativen zu finden:
Denn gerade diese Bucht ist prädestiniert, ein Beispiel für
Nachhaltige Entwicklung zum Schutz der biologischen Vielfalt
zu werden. Die Bevölkerung hat beschlossen, nicht mehr an der Flussmündung Häuser zu bauen, d.h. hier könnte man den Flusslauf regenerieren, das Gelände bei Hochwasser und Tsunami als natürliche Überflutungswiesen nutzen. Großflächige Küstenüberflutungsräume im Projektgebiet weisen ein hohes Revitalisierungs- und Regenerationspotenzial auf. Eine nachhaltige Nutzung und geeignete Renaturierungsmaßnahmen könnten den Erhaltungszustand dieser einzigartigen Küstenlandschaft als Teil des Sanriku Fukkou Nationalparks verbessern und die herausragende biologische Vielfalt der Region langfristig erhalten und fördern.
Lesen Sie hier den aktuellen Artikel vom 25.1.2015 aus dem Handelsblatt:
Vier Jahren ist es nun beinahe her, dass ein Erdbeben vor der Küste Japans einen Tsunami auslöste, der den Nordosten des Landes verwüstete. Jetzt soll ein Betonschutzwall die Küsten sichern. Doch Kritiker haben Zweifel.
Masahito Abe steht am Strand seines Heimatortes Koizumi. Vor vier Jahren wurde das Gebiet von den Wassermassen des Tsunami verwüstet. Jetzt soll eine Mauer die Küste schützen.
(Foto: dpa)
Koizumi Masahito Abe blickt über die sanften Meereswogen. Vor fast vier Jahren tobte hier die Hölle. Am 11. März 2011 löste ein Erdbeben der Stärke 9,0 einen gigantischen Tsunami aus, der Abes Heimatort Koizumi und Hunderte andere Gemeinden entlang der japanischen Nordostküste ausradierte und fast 19.000 Menschen in den Tod riss. Vor Koizumi in der mit am schwersten betroffenen Provinz Miyagi bäumte sich damals die Welle bis zu 23 Meter hoch auf, 40 der 1800 Dorfbewohner kamen ums Leben.
Um Japans Küsten gegen künftige Tsunami besser zu schützen, plant der Staat nun den Aus- und Neubau Hunderter Betonmauern. Allein Miyagis 830 Kilometer lange Küste soll zu rund 30 Prozent mit Beton abgeschirmt werden. Doch Kritiker halten „Japans große Mauer“ für höchst zweifelhaft.
„Was für ein Blödsinn“, schimpft Abe gegen das in Koizumi geplante rund 22 Milliarden Yen (156 Millionen Euro) teure Betonbollwerk, das mit einer geplanten Länge von 800 Metern eines der größten der in Miyagi geplanten Einzelprojekte ist. Nicht nur wäre die Mauer mit einer Höhe von 14,7 Metern nur etwa halb so hoch wie der Tsunami vor knapp vier Jahren. Es gebe auch gar nichts mehr zu schützen, schließlich werde Koizumi drei Kilometer landeinwärts wiederaufgebaut und sei damit sicher vor einem Tsunami. Die derzeit noch in Behelfsunterkünften untergebrachten Bewohner könnten in Kürze mit dem Neubau ihrer Häuser beginnen.
Der Schullehrer, der aus Sorge um Tsunami schon vor über einem Jahrzehnt sein Haus auf einer sicheren Anhöhe neu errichtet hatte, befürchtet eine verheerende Zerstörung der Ökosysteme durch das Betonbollwerk. In den vom Tsunami überfluteten Gebieten in Koizumi lebten allein mehr als 100 Tierarten. Der Tsunami hat die Küstenlinie verändert und den Strand abgesenkt.
„Das ist die Natur. Die Spuren des Tsunami sollten so belassen werden, damit künftige Generationen hier aus den Erfahrungen lernen“, sagt Abe. Dank der Artenvielfalt könne die Region auch Touristen anziehen. Die Mauer würde dagegen die Umwelt völlig verschandeln.
Trügerische Sicherheit
Kritiker warnen vor einem trügerischen Sicherheitsgefühl durch die Betonmauern.
(Foto: dpa)
Kritiker wie Abe warnen zudem vor einem trügerischen Sicherheitsgefühl durch die Betonmauern. Zwar gibt es Beispiele, wo bei der Tsunami-Katastrophe 2011 bereits zuvor betonierte Küstenschutzwälle Menschenleben gerettet haben. In anderen Fällen aber kamen Menschen gerade deswegen ums Leben, weil sie nicht rechtzeitig flüchteten, sondern sich auf die Tsunami-Schutzmauern verließen, die jedoch den gewaltigen Fluten nicht standhielten.
Tatsuya Sato, Leiter der zuständigen Baubehörde, lässt all diese Argumente nicht gelten. Koizumi stelle eine Gefahrenzone dar. „Es gibt große Agrarflächen sowie Wasserversorgungsanlagen, eine Lachszucht, die Landstraße 45 sowie eine Bahnlinie“, erklärt er. Hinzu kämen unter anderem ein Altersheim, ein Tempel und ein Kindergarten, der in Katastrophenfällen als Notunterkunft gebraucht würde.
„Aus diesem Grund sehen wir es für unbedingt notwendig an, dass die Mauer gebaut wird“, erklärt der Beamte. Sollte es erneut zu einem solch hohen Tsunami wie 2011 kommen, was jedoch nur einmal in 1000 Jahren der Fall sei, reiche die Mauer allein natürlich nicht aus. Deswegen seien Fluchtwege und Katastrophenschutzübungen selbstverständlich auch wichtig.
Trotzdem sei die geplante Betonbefestigung wichtig, da sie die meisten Tsunami abwehren könne. Außerdem hätten die Bürger Koizumis bei einer Informationsveranstaltung im November ihr Einverständnis für den Bau gegeben, so der Beamte.
Abe spricht dagegen von einer Farce. Weil die Bürger auf dieser Veranstaltung zunächst keine Fragen stellten, hätten die Beamten das einfach als Einwilligung ausgelegt. Zudem sei den Bewohnern der Eindruck vermittelt worden, der schleppende Wiederaufbau der Katastrophengebiete komme nur voran, wenn die Betonmauern gebaut würden.
In Wirklichkeit gehe es der Regierung vor allem darum, die Bauindustrie, eine der stärksten Wahlkampfstützen der Liberaldemokratischen Partei LDP von Ministerpräsident Shinzo Abe, mit lukrativen Aufträgen zu versorgen, beklagen Kritiker. Tatsächlich haben bereits mehrere Bewohner Koizumis ihre früheren Grundstücke am Meer für den Bau der geplanten Betonmauern an den Staat verkauft. Die Bauarbeiten sollen in Kürze beginnen.