Westfälische Nachrichten: Do., 09.10.2014
Schwester Caelina (Christa Mauer) Foto: —
Lengerich –
Den 11. März 2011 wird Schwester Caelina wohl nie mehr vergessen. Es war der Tag, an dem Japan von einem starken Erdbeben und einem Tsunami heimgesucht wurde. Es war der Tag, an dem die Katastrophe von Fukushima ausgelöst wurde. Die Franziskanerin erlebte ihn hautnah mit.
Schwester Caelina verbringt zurzeit einen Heimaturlaub im Mutterhaus in Thuine. Sie stammt aus Heede und trat 1984 in die Kongregation der Franziskanerinnen ein. Seit 20 Jahren ist sie in Japan tätig, seit 2009 leitet sie das Kinderheim Fujinosono.„Stehen Sie auf, stellen Sie sich breitbeinig fest auf ihre Füße. Und stellen Sie sich vor, der Boden unter ihnen schaukelt so heftig, dass Sie sich nicht mehr auf den Füßen halten können.“ Sehr anschaulich vermittelt Schwester Caelina ihren Zuhörerinnen, wie es sich anfühlt, wenn die Erde bebt. Die Franziskanerin berichtete den kfd-Frauen von St. Margareta am Dienstag von der Katastrophe, die am 11. März 2011 Japan heimsuchte – und unter anderem das Kinderheim Fujinosono in Ichinoseki zerstörte. Den Hilferuf aus Fernost hörte damals auch die katholische Kirchengemeinde in Lengerich, die eine Spendenaktion für die Einrichtung initiierte.
60 Schützlinge im Alter von zwei bis 18 Jahren leben dort. Es gibt eine Mädchen-, eine Jungen- und eine Gruppe mit Kleinkindern. Die jungen Bewohner werden vom Jugendamt vermittelt. 60 Prozent seien misshandelt worden, berichtet Schwester Caelina, oft seien sie auch verwahrlost. Etwa zehn Prozent seien Waisen, teilweise seien die Eltern aber auch einfach verschwunden. Fast alle Kinder litten unter der Tatsache, dass man sie verlassen hat, manche seien psychisch krank.
Obwohl Fujinosono ein christliches Heim ist, sei keines der Kinder getauft, erklärt die Schwester. Unter den Mitarbeiterinnen sei auch nur eine Katholikin, aber alle akzeptierten die christlichen Leitlinien. Mit 18 Jahren würden die Jungen und Mädchen das Heim verlassen und ins Arbeitsleben starten. Ein Studium sei zu teuer.
Ein Schauer lief den Zuhörerinnen über den Rücken, als Schwester Caelina über den schicksalhaften 11. März 2011 berichtet. Das Erdbeben sei ohne Vorwarnung gekommen. Sie hätten sich unter Tischen verkrochen. „Ich dachte wirklich, meine Sterbestunde wäre gekommen“, erinnert sich die Franziskanerin. Als sich das Beben abschwächte, habe man alle Heimbewohner evakuiert und sie in der Turnhalle untergebracht, da das Heim einsturzgefährdet war. „Die Kinder waren teilweise wie erstarrt. Wir mussten sie herausschleppen“, erzählt die Schwester. Das Haus habe geschwankt, die Erde sei aufgerissen, breite Spalten hätten sich gebildet.
Mehrere Tage hatten die Bewohner keinen Kontakt zur Außenwelt. Sie mussten auch ohne Wasser, Strom und Telefon auskommen. Die Notrationen an Nahrung hätten für die über 100 Personen nur einen Tag ausgereicht. An Nachschub war nicht zu denken. Zum Glück habe man wegen des Frostes die Lebensmittel haltbar machen und strecken können. Nach einer Woche habe sich dann ein Bäcker gemeldet, der sein Brot ohne Kühlung nicht länger halten konnte. „So konnten wir den Kindern wenigstens ein Frühstück bieten“, erzählt die Schwester. In den ersten vier Wochen habe man keine Eiweißprodukte für die Kinder bekommen können. Schlimm sei die Panik der Kinder bei den Nachbeben gewesen. Sie hätten sich an die Betreuerinnen geklammert und nicht mehr loslassen wollen.
Zehn Tage habe es gedauert, bis man vom Ausmaß des Unglücks in Fukushima gehört habe, berichtete Schwester Caelina weiter. Die Nerven der Erwachsenen seien mehr als angespannt gewesen. Als dann in Ichinoseki, gelegen im Norden der Hauptinsel Honshu, zwischen Steinbrocken und Schnee erste Krokusse den Frühling verkündet hätten, habe man das fast wie ein Versprechen gesehen, eine Hoffnung auf „Auferstehung“.
Behördenvertreter wie auch Leute von anderen Kinderheimen seien gekommen, um sich ein Bild von der Zerstörung zu machen. Nach ersten Reparaturen seien Kinder und Betreuerinnen nach einer Woche Turnhalle wieder in die „Notunterkunft“ Waisenheim gezogen. Da das Gebäude nicht für eine dauerhafte Nutzung hergerichtet werden konnte, begann die Planung für einen Neubau. Das erste Modell wurde mit zwölf Millionen Euro Kosten veranschlagt. Eine Summe, die auf keinen Fall aufgebracht werden konnte. Daher musste eine einfachere Lösung her, die aber doch auch die Auflagen der Behörden (größer, erdbebensicher) berücksichtigte. Auf dem Baseballplatz des Heimes entstand ein Containerdorf. Das alte Heim wurde abgebrochen. „Ein trauriges Erlebnis für Kinder und Betreuerinnen, da das Gebäude ja lange Zeit Zuhause war“, führt Caelina an.
Die Schwester zeigte Bilder von Festen und Veranstaltungen, die den Wiederaufbau begleiteten und die Kinder wieder in den Alltag eingliedern sollten. So wurde der Jahrestag der Katastrophe besonders begangen. Der Neubau des Heimes sei von 27 Ländern unterstützt worden, berichtet die Schwester, die immer wieder die große Hilfe von Malteser International hervorhebt.
Bis Mitte November ist Schwester Caelina noch im Mutterhaus in Thuine, bevor sie dann wieder nach Japan zurückkehrt.