Auf dem Land sind sie zahlreich, und auch in Japans Städten sieht man sie immer wieder: Häuser, die offensichtlich leer stehen. Manche sind sorgfältig verrammelt, andere sind vernachlässigt und zerfallen langsam. Insgesamt 8,6 Millionen Häuser, rund 13 Prozent des Gesamtbestands, sind laut aktuellen Statistiken unbewohnt. Davon stehen rund 3,2 Millionen weder zum Verkauf, noch sind sie zu mieten.
Tsunami sorgt für Nachfrage
Besonders hoch ist die Zahl der verlassenen Häuser in Regionen, die stark unter der Entvölkerung leiden. Eine Ausnahme sind jene Gebiete im Nordosten Japans, die 2011 vom Tsunami betroffen waren. Da dort Tausende von Häusern zerstört wurden, gibt es eine hohe Nachfrage nach gebrauchten Immobilien. Im Allgemeinen werden in Japan Neubauten bevorzugt. Weniger als 15 Prozent aller verkauften Häuser sind aus zweiter Hand. Gleichzeitig ist die Lebenszeit japanischer Bausubstanz mit rund 30 Jahren enorm kurz.
Die Ursachen dafür seien sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite zu finden, sagt Hidetaka Yoneyama vom Fujitsu Research Institute. Die Bauwirtschaft habe in den Nachkriegsjahren vor allem darauf geschaut, möglichst schnell zu bauen, sagt Yoneyama. Qualität zählte wenig. Die Käufer hätten dies in Kauf genommen, weil sie auf eine Wertsteigerung des Bodens spekulierten. Mit anderen Worten: Japanische Hausbesitzer akzeptierten lange, dass ihre Häuser in kurzer Zeit wertlos wurden, weil die rasant ansteigenden Bodenpreise dies wettmachten.
Heute, wo vielerorts im Land die Bevölkerung schrumpft und die Nachfrage nach Boden entsprechend tief ist, geht diese Rechnung nicht mehr auf. Da die Bauwirtschaft aber trotzdem weiterhin in grossem Stil neue Häuser und Wohnungen baut, sinkt der Wert bestehender Häuser zusätzlich. Neubauten sind viel besser auf die heutigen Bedürfnisse ausgelegt. Gerade ältere Leute, die in eine Wohnung ziehen möchten, die ihrer Lebenssituation entgegenkommt, können sich das oft nicht leisten. Ein grosser Teil ihres Vermögens steckt nämlich in einem Haus, das unverkäuflich und damit wertlos geworden ist.
Wenn die alten Bewohner schliesslich sterben, bleiben ihre Häuser leer. Diese Erben sind meist vor langer Zeit in die Städte gezogen. Entsprechend häufig zerfallen die Bauten. Dort, wo sie eng zusammengebaut sind, geht von unbewohnten Häusern Brandgefahr aus. In Regionen mit viel Schnee besteht die Gefahr, dass sie einstürzen, wenn niemand regelmässig die Schneemassen vom Dach schippt.
Teure Leere
Die Besitzer haben wenig Interesse, diese Häuser abzureissen, denn die Grundstücksteuer für eine unbebaute Parzelle ist sechsmal höher, als wenn ein Haus darauf steht. Ob dieses bewohnt ist, macht dabei keinen Unterschied. Dank einer Gesetzesänderung haben lokale Behörden nun aber seit kurzem die Möglichkeit, leerstehende Immobilien, die sie als Gefahr ansehen, speziell zu kennzeichnen. Wenn der Besitzer das Haus nicht abreisst, können die Behörden das übernehmen. Die Kosten muss – soweit möglich – der Besitzer tragen.
Neue Ortsstrukturen
Durch diese Ausdünnung verändern sich Dörfer und Kleinstädte. Dies sei einfacher möglich als in vielen europäischen Ländern, sagt der Städteforscher Christian Dimmer. Viele japanische Ortschaften entstanden ohne Raumplanung. Daher sind auf dem Land vielerorts die Häuser weder an Gasleitungen noch an Abwassernetze angeschlossen. Diese Infrastruktur muss nicht teuer aufrechterhalten werden, wenn auf einmal weniger Häuser an einer Strasse stehen. «Es werden ja sowieso schon Gasflaschen angeliefert und Sickergruben ausgepumpt», sagt Dimmer.
Generell müsse ein Umdenken stattfinden, sagt Dimmer. Japanische Städte müssten anfangen, sich zu überlegen, wie sie richtig schrumpfen. Dazu gehört mehr, als bloss verlassene Gebäude abzureissen. Viel eher müssten Modelle gefunden werden, wie in den ausgedünnten Ortschaften wichtige Dienstleistungen aufrechterhalten werden könnten, sagt Dimmer. Diese müssen so gestaltet sein, dass die restlichen Einwohner ihren Alltag bewältigen können und sich nicht auch noch gezwungen sehen, wegzuziehen.