New film by Doris Doerrie about Minamisoma

Seelenreparatur im Sperrgebiet

Die deutsche Regisseurin Doris Dörrie dreht bereits ihren dritten Film in Japan. «Grüsse aus Fukushima» erzählt eine Geschichte um zwei Frauen in der verstrahlten Zone.

Marie aus Deutschland (Rosalie Thomass) hilft Satomi (Kaori Momoi) dabei, deren Haus in der radioaktiven Zone zu renovieren. Foto: Mathias Bothor (Majestic)

Marie aus Deutschland (Rosalie Thomass) hilft Satomi (Kaori Momoi) dabei, deren Haus in der radioaktiven Zone zu renovieren. Foto: Mathias Bothor (Majestic)

Marie überragt ihre Schülerinnen, die meisten so alt wie ihre Grossmutter, kurz gewachsene Oba-chan, wie man in Japan Frauen jenseits der Jugend liebevoll nennt. Die Oba-chan, die seit bald vier Jahren in der Notsiedlung wohnen, geben sich Mühe beim Hula-Hoop; sie freuen sich über Abwechslung. Aber sie haben kein Talent. Marie seufzt ein japanisches Danke, für heute ist Schluss. Beim Einsammeln der bunten Reifen knallt sie mit Satomi zusammen, der letzten Geisha des Ortes, die auch in einem Container Zuflucht gefunden hat. Satomi, gespielt von der 63-jährigen Kaori Momoi, ein Star in Japan, hat beim Hula-Hoop nicht mitgemacht, aber zugeschaut. Sie kann das, sogar mit vier Reifen zugleich, wie sie Marie verächtlich demonstriert. Dann rotzt sie der jungen Deutschen ein «Bullshit» ins Gesicht. Sie hat die Nase voll.

Seit voriger Woche dreht die Regisseurin Doris Dörrie in dieser Containersiedlung ihren nächsten Spielfilm: «Grüsse aus Fukushima». Die Oba-chan sind keine Schauspielerinnen, sie wohnen tatsächlich in der grauen Containersiedlung. Das Erdbeben und der Tsu­nami haben ihr Dorf Odaka eine halbe Autostunde weiter südlich verwüstet; zudem liegt es in der Sperrzone.

Wie schon in früheren Filmen erzählt Dörrie ihre Geschichte so, dass auf dem Originalschauplatz der Alltag weitergeht. Das zwingt die Crew zuweilen zu Improvisationen. «Aber mit unserem kleinen Team sind wir sehr beweglich», sagt Dörrie. In «Grüsse aus Fukushima» drängt sich der Originalschauplatz und das Schicksal seiner Bewohner in den Vordergrund: 125’000 Menschen hausen noch immer als Nuklearflüchtlinge in Notunterkünften. Die Welt hat sie vergessen. In Tokio tut man so, «als habe es die Katastrophe nie gegeben», so Dörrie. Einige Orte in der Sperrzone sind inzwischen wieder offen, die Regierung versucht, die Leute in ihre Dörfer zurückzuschicken. Doch wer heimkehrt, oft in ein beschädigtes Haus und ohne die alte Infrastruktur, etwa den Einkaufsladen um die Ecke, verliert jede staatliche Unterstützung. Damit sind viele Menschen Gefangene in den Provisorien, an die sich manche bereits gewöhnt haben. Einige Alte möchten ihre Container nicht mehr verlassen, sie wollen nicht noch einmal aus ihrem Leben gerissen werden.

Andere Flüchtlinge zerbrechen an der Existenz im Container, vor allem Männer. Sie leiden an Depressionen, es gibt immer wieder Suizide, viele saufen oder versacken in Spielhöllen. Dagegen kämpfen die Frauen an, indem sie beispielsweise Tanz- und Strick­gruppen bilden oder Veranstaltungen zu organisieren versuchen.

Plötzlich nur noch widerwillig

Auch Marie versucht mit ihren Hula-Hoop-Lektionen, die Flüchtlinge aufzumuntern. Die Oba-chan sind begeistert. Doris Dörrie, die alle überragt, aber kaum Anweisungen gibt, inszeniert nicht nur Unterhaltung zwischen den Containern; die Dreharbeiten sind selber eine solche Abwechslung, wie sie die Menschen im Containerdorf brauchen. Die Begeisterung der Oba-chan gilt freilich vor allem der Schauspielerin Kaori Momoi, mit der sie über die Jahre vor dem Fernseher älter geworden sind. Nun gehört sie für ein einige Wochen fast zu ihnen. Allerdings verlieren die Oba-chan bald die Geduld, wenn Dörrie eine Szene noch einmal und dann auch noch aus einem anderen Winkel drehen will. Plötzlich machen sie nur noch ­widerwillig mit, wollen dringend etwas Wasser. Sie verstehen auch nicht recht, warum sie das Hula-Hoop-Tanzen für den Film noch schlechter beherrschen sollen, als sie es ohnehin können.

Risiko vorher abgeklärt

Eigentlich ist auch Marie ein Flüchtling. Sie hat ihre grosse Liebe versemmelt und flieht gebrochenen Herzens aus Bayern nach Fukushima, um dort zu helfen, wo die Menschen wirklich leiden. «Wie die meisten Leute wusste sie nur theoretisch, vom Fernsehen, worauf sie sich einliess. In der Containersiedlung ist sie komplett überfordert», erzählt Doris Dörrie.

Ein bisschen hätten sie diese Überforderung auch als Filmcrew erlebt, gesteht Dörrie. Vor der Katastrophe war Minamisoma ein Provinznest, zu dem ein verstreuter Haufen verschlafener Dörfer gehört. Der Süden des Gemeindegebietes musste evakuiert werden, er liegt innerhalb der Sperrzone um Fukushima I, wo drei Reaktoren durchgeschmolzen sind. Doch auch aus dem übrigen Teil flohen viele Leute, vor allem Familien mit Kindern. Minamisoma wurde zum Geisterort. Inzwischen funktioniert die über­lebenswichtige Infrastruktur wieder, auf der grünen Wiese gibts ein neues Einkaufszentrum. Aber das Geflecht feiner Strukturen, in denen ein soziales Leben stattfindet, lässt sich nicht einfach neu bauen. Dörrie ist mit ihrem Team in ­einem eiligst hochgezogenen Budget­hotel untergekommen, einem Plattenbau am Strassenrand. Es gibt keine Kneipe, nur einen Getränkeautomaten.

Dass «Grüsse aus Fukushima» kein normaler Dreh ist, zeigt sich schon auf der Herfahrt. An der Autobahnrampe informiert eine Anzeigetafel über die Strahlung hinter der Kraftwerksruine: an diesem Vormittag sind es 0,2 – 5,6 Mikrosievert. Sie habe das Risiko vorher mit Experten in Deutschland abgeklärt, versichert Dörrie. «Kein Film ist es wert, dass man seine Gesundheit riskiert.»

In einer zweiten Szene, die an diesem Mittwoch gedreht wird, klopft die frustrierte alte Geisha an Maries Containertür und fragt, ob die Deutsche Auto fahren könne. Satomi will ihr zerstörtes Haus in der Sperrzone besuchen. Und weigert sich dann, ins Containerdorf zurückzukehren. Die beiden Frauen nähern sich einander an. Bis Satomi Marie einspannt, mit ihr das Haus zu reparieren. Das wird zum Lernprozess für beide Frauen, der Film ist eine Education sentimentale beider Frauen. «Im grossen japanischen Kino gibt es zahlreiche Lehrer-Schüler-Geschichten», sagt Dörrie, aber immer seien der Sensei, also der Lehrer, und sein Lehrling Männer. Sie wolle Frauen zeigen. Zumal im verknorkst patriarchalen Japan zumeist die Frauen den Karren ziehen.

«Man tut, als sei nichts passiert»

«Grüsse aus Fukushima» wird Dörries dritter Japan-Film. In «Erleuchtung garantiert» (1999) reisen zwei Deutsche nach Japan, um sich in einem Zen-Kloster zu finden, verlieren sich zuvor aber in Tokio. In «Kirschblüten» (2008) findet ein frisch verwitweter Beamter aus Schongau am Fusse des Fuji die Versöhnung mit sich selbst. In beiden Filmen hilft Japan den Besuchern aus Deutschland, obwohl es sie kaum als Individuen wahrnimmt. Dazu ruht Nippon viel zu sehr in seinem streng geregelten Chaos.

In «Grüsse aus Fukushima» – der Film soll nächstes Frühjahr starten – verkehrt sich das. Im Containerdorf ist Marie eine besonders auffällige Besucherin, die jedoch von allen wahrgenommen wird; und der es sogar gelingt, Satomi zu helfen. Ist mit der Dreifachkatastrophe von Fukushima das Tröstende Japans, das passiv Heilende aus den früheren Filmen etwas verschwunden? Dörrie zweifelt: «Fukushima hat uns in Deutschland geholfen, aus der Kernenergie auszusteigen. Aber Japan tut, als sei nichts passiert. Im Winter heizen sie die Häuser auf 24 Grad, im Sommer kühlen sie sie auf 16 Grad. Und sie lassen die Autos ständig laufen.» Und die Flüchtlinge in den Containersiedlungen würden im Stich gelassen. Dann stockt sie: «Aber das Kino ist keine Erziehungsanstalt.»

(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 31.05.2015, 19:37 Uhr)